Lisa Ehrentraut Keine Kommentare

Dr. Oliver Grün ist Präsident des Bundesverband IT-Mittelstand (BITMi), Präsident der European DIGITAL SME Alliance und CEO der GRÜN Software AG. Seit 2013 ist er Mitglied des Beirats „Junge Digitale Wirtschaft“ beim Bundeswirtschaftsministerium.

 

Bald wird die Europäische Kommission ihre neue Industrie- und Digitalstrategie veröffentlichen. In Zeiten der digitalen Transformation ist es entscheidend, hier die richtigen Prioritäten zu setzen und so das Potenzial des europäischen industriellen Ökosystems freizusetzen.

 

Amerikanische und chinesische IT-Konzerne dominieren die globalen Märkte und stellen eine Bedrohung für viele europäische Industriebranchen dar. In beiden Ländern ist man Zeuge der Entstehung großer globaler Akteure geworden, doch ich glaube nicht, dass dies auch die richtige Strategie für Europa ist. Gerade befindet sich die Kommission unter Druck, die europäische Wettbewerbspolitik zugunsten einer Fusion von Siemens und Alstom zu lockern. Da liegt die Frage nahe, ob man nicht generell erfolgreichen europäischen Unternehmen Fusionen erlauben sollte, damit sie auf Augenhöhe mit den chinesischen und US-amerikanischen Konzernen konkurrieren können. Auf den ersten Blick sieht das nach einer guten Idee aus, als würden die europäischen Akteure so eine faire Chance auf dem Weltmarkt erhalten. Diese Strategie greift allerdings zu kurz, denn letzten Endes zählt Innovation, nicht Größe. Dabei gilt es Folgendes zu bedenken:

1. Im digitalen Zeitalter sind Wettbewerbsregeln entscheidend, um einen fairen Wettbewerb für europäische Unternehmen zu sichern

Die globalen Digitalplattformen nutzen ihre Dominanz, um ihre Macht auf dem Markt zu stärken. In vielen Branchen fungieren sie als Gate-Keeper, zum Nachteil der anderen Unternehmen. Der Erfolg dieser Plattformen befeuert ihr Streben, durch den Erwerb konkurrierender innovativer Unternehmen in neue Bereiche vorzudringen. Unternehmen, die Plattformen nutzen, um mit ihren Innovationen Kunden zu erreichen, stehen zunehmend mit eben diesen Plattformen im Wettbewerb. Diese wiederum nutzen ihre Macht, um die eigenen Produkte zu bevorzugen und verzerren somit die Marktdynamik. Hier kann die EU ansetzen und die eigene Wirtschaft mit harten Wettbewerbsregeln unterstützen, welche die missbräuchlichen Praktiken der IT-Konzerne eindämmen. Auf den Punkt gebracht ist es keine gute Lösung, unsere Kartellregeln für die Entstehung eines europäischen Champions zu opfern, der auf dem Markt keinen großen Unterschied machen wird.

??2. Der Mittelstand ist Europas Stärke

Europas Stärke lag nie allein in großen industriellen Akteuren, sondern in einer Kombination von sehr erfolgreichen internationalen Unternehmen, welche aus der großen und agilen mittelständischen Wirtschaft erwachsen sind. Der Mittelstand ist als Quelle agiler Innovationen ein wesentlicher Vorteil für Europas industrielle Wertschöpfungsketten. 99% unserer Unternehmen sind mittelständisch – unter ihnen eine große Gruppe von technischen Spitzenreitern und Erneuerern. Über 260.000 europäische Mittelständler wurden von der Europäischen Kommission als innovative Unternehmen klassifiziert. [1]. Viele digitale Mittelständler sind „digitale Enabler“, die mit ihren technischen Lösungen und Skills Synergieeffekte im B2B Bereich und lokalen Ökosystemen anstoßen. Die Strategien der Europäischen Kommission sollten sich auf die kleinen Hidden Champions Europas konzentrieren statt auf künstlich generierte Industriekonzerne. Europa kann nur eine führende Position im digitalen Zeitalter erreichen, wenn wir unseren agilen und innovativen Mittelstand unterstützen und ihm eine faire Wettbewerbschance gegen die dominanten Digitalakteure bieten.

Wir hoffen, dass die Europäische Kommission all das berücksichtigt, wenn sie eine neue Langzeitstrategie für Europas wirtschaftliche Zukunft entwirft. Wir brauchen eine Industriestrategie, die auf unsere Stärke setzt – die mittelständische Wirtschaft. Die European DIGITAL SME Alliance und seine Mitglieder fordern die Europäische Kommission auf, sich auf die folgenden Prioritäten zu konzentrieren:

  1. Wettbewerbsgleichheit schaffen durch gleiche Steuern für multinationale Konzerne und Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in der Wettbewerbspolitik
  2. Mittelstand und Mittelstandspolitik ins Zentrum der neuen Industriestrategie stellen
  3. Unterstützung des Mittelstands beim Zugang zu FuE Förderung und EU Förderprogrammen, indem sichergestellt wird, dass diese Programme für den Mittelstand zugänglich sind. 50% der EU-Förderung für Forschung im Mittelstand als konkretes Ziel
  4. Mittelstandsstrategie zur Stärkung des industriellen Ökosystems entwickeln, die die Rolle des digitalen Mittelstands als Enabler der digitalen Transformation des restlichen Mittelstands erschließt
  5. Öffentlich-privates „Bündnis für Kompetenzen“ für den Mittelstand schaffen, um das gesamte Ökosystem zu vernetzen und auf den Andrang auf digitale Kompetenzen durch den Mittelstand aller Branchen vorbereitet zu sein
  6. Ambitionierte Datenstrategie entwickeln – Der Mittelstand braucht Zugang zu Daten und ein Regelwerk, welches Innovationen stärkt.

Europa sollte seinen eigenen Weg gehen und sich dabei auf seinen starken und vielfältigen Mittelstand berufen. Gemeinsam sollten wir hinter unseren „digitalen Enablern“ stehen und ihnen ermöglichen, die Chancen des Digitalen Binnenmarkts zu nutzen und Europa so in das digitale Zeitalter zu führen.

 

Lesen Sie hier das englische Original auf der Homepage von DIGITAL SME: We do not need artificial industrial giants. We need a level playing field that unleashes our innovative SME economy.?

[1] Eurostat, Product and process innovative enterprises by NACE Rev. 2 activity and size class in 2014. [In]: PwC Europe: https://www.pwc.nl/nl/assets/documents/pwc-europe-monitor-innovation-sme.pdf